FRANZ DODEL |

HM_MH
eine Art Sprechgesang
nach einer beliebig wählbaren Textstelle
aus
Nicht bei Trost von Franz Dodel
für Stimme(n)
Kompositionsauftrag des Festivals Für die Beweglichkeit, 2012
Ausgangspunkt von hm_mh bildet das seit 2002 täglich wachsende Lyrik-Projekt Nicht bei Trost des Schweizer Poeten Franz Dodel.
Um diesem offenen Charakter gerecht zu werden, sind in hm_mh 8 Regeln formuliert, die es ermöglichen, aus jeder beliebig wählbaren Textstelle eine Vokalstimme zu generieren.
Dabei ist die Silbenanzahl eines jeden Wortes das entscheidende Kriterium für die direkt aus dem Text entstehende Notationsform.
In dieser Abhängigkeit von Klang und Wort wird sich je nach gewähltem Textabschnitt die Vokalstimme immer anders formen.
Die Partitur erfasst somit auch jene Zeilen des ständig wachsenden Textes, die noch nicht geschrieben sind.
Für das folgende Notationsbeispiel wurde der Textabschnitt Zeile 6627–6675 gewählt.
Judith Ramerstorfer, Sopran
Aufnahme: 2015

Notationsresultat nach Anwendung der 8 Regeln aus hm_mh auf den Textabschnitt von Zeile 6627 – 6675 aus Nicht bei Trost von Franz Dodel.
ANGELA FLAM |
APALLISCHES SYNDROM
für Vocalsolisten und Bassklarinette(n)
nach einem Text von Angela Flam, 2011
Begriffserklärung
In seiner ursprünglichen Bedeutung wird unter einem apallischen Syndrom ein Erlöschen des Selbstbewußtseins und der Kontaktfähigkeit im Gefolge einer schweren Schädel-Hirnverletzung oder eines Sauerstoffmangels am Gehirn verstanden. Meist wird auch von einem sogenannten Wach-Koma gesprochen: Sauerstoffmangel oder Entzündungen können zu einer über Monate und Jahre dauernden Bewußtseinstörung führen. Plötzlich befindet sich der Patient jenseits einer Barriere, die unüberwindbar ist. Sämtliche Verbindungen zu seiner früheren Umwelt und Vergangenheit sind zerrissen und abgebrochen.
zur Idee
Jede Unordnung bedarf unterschiedlicher Einzelteile. Gelingt es die Einzelteile als Ganzes zu erfassen, zeigt sich in der anfänglichen Unordnung Ordnung - die Teile werden zum Ganzen, sie lösen sich im Ganzen auf.
Dieser Gedanke als Ausgangspunkt für die Arbeit am „apallischen syndrom“ führte mich zur Metapher der Farbe, die im Aufeinandertreffen farbiger Einzelteile entweder etwas Buntes oder etwas Monochromes generiert.
Steht nun das Monochrome als Bild für das Ganze, so verweist das Bunte auf das Fragmentierte.
In beide Richtungen führt ein Weg, der für diese Arbeit folgendermaßen deffiniert wird:
Der Weg vom Unbunten zum Bunten als Weg des Vergessens, der Weg vom Bunten zum Monochromen als Weg des Erfassens.
Das Erfassen zeigt das Ganze als Eins – aber das Erfassen gleicht immer auch dem Nicht-Erfassen, da es sich nur dann als Ganzes zeigt, wenn der Weg bereits beschritten ist und die Bewegung ruht.
Dieser Ruhe entspringt die musikalische Wahrnehmung – in ihr sind wir still, während es sich um uns bewegt. Folgen wir aber der Linearität des Verstehens, so bewegen wir uns, während um uns die Bewegung friert.
Verläuft das Verstehen entlang des Vergessens, so erhebt sich die musikalische Wahrnehmung und blickt auf das Ganze von oben. Wie aus der Vogelperspektive nimmt sie die Teile als Ganzes wahr. Ihr Vergessen ist ein Fokussieren und nicht ein der Linearität inhärentes Folgern. Sie vergisst, weil sie nicht versteht sondern hört. Sie erinnert, weil der hörbare Klang vom Vergessen getragen wird.
Musik aus Klang als geistige Vibration kann nicht verstanden werden, denn sie selbst ist es, die ein Verstehen schafft. In diesem Fokus des Nicht-Verstehens spielt das „apallische Syndrom“.
zur Form
Die Form wird von fünf Textsträngen durchzogen. Jeder dieser Stänge durchläuft Phasen unterschiedlicher Dichte. An den Stellen hoher Durchlässigkeit sind die verschiedenen Textebenen gleichzeitig wahrnehmbar. Dort, wo sich Text verdichtet und somit die ihm eigene Semantik in den Vordergrund tritt, wird er undurchlässig für die anderen Ebenen.
Dieses Textgewebe spannt zuweilen einen sehr engmaschigen Erinnerungsbogen, setzt aber andererseits die Knoten so weit, dass das semantische Netz zu reißen droht und dabei unweigerlich in die Musik kippt.
zur Musik
Ich habe eine Musik vor Augen, die nicht durch ihre Affektivität bewegt; denn wenn der Klang bewegt, bewegt er mich, ohne dass ich mich bewege. Erst wenn sich die Klänge in mir setzen, nehme ich nicht mehr nur die Wirkung der Bewegung wahr, sondern die allein im Denken liegende Kraft, die mich aus meiner Unbeweglichkeit zu lösen vermag.
Ausschnitt aus:
Angela Flam
G93.80_apallisches@syndrom.net
Re://verortet/
sie haben die herberge verlassen nur es
ist dort geblieben verlassen in stillen schächten
quellern nachts hörst weder du
noch ich gleich stählern reise wach
die glocke sprengt ihn wach aus stillen schächten
quellern stählern reise wach zur zisterne
wo es ruht in ästen zerklüftet ohne beine ohne
flügel siehst weder du noch ich gleich
summen tropfen hügel
die stirn am hügel fliegt er mit dem wind hinüber
über augen summen tropfen hügel verschüttet
ohne beine ohne flügel sind abgezählt vom regen
myriaden und die eine nur die eine in schlamm
geschliffene von den gezeiten trennen weißt weder
du noch ich gleich brennen sumpf umgriffen
mit den möwen mit den weißen
die weißen möwen kennen sein herz ins leere
geknüpft mit dem wind hinüber die stirn
am hügel geschliffen brennen sumpf umgriffen
vom regen myriaden und die eine ausgegossen
am termitenhügel mit den gezeiten empor
kehrt er wieder um vom turm umgriffen summen
tropfen hügel zieht es ihn weit übers land
in stillen schächten quellern stählern reise wach
entschlüpft aus nackten füßen ein stern in
lindenblüte knüpft alleine seine kreise und
trug was mir enthüllt spürst weder du noch ich
gleich flöten schleier qualmen
...
(multipliziertes Duo, 4-stimmig)
Johann Leutgeb, Stimme
Petra Stump, Bassklarinette
Aufnahme: 2012

apallisches syndrom, Ausschnitt aus der Vokalform (1. Farbverlauf aus insgesammt 5).
Jeder Farbe ist eine Klangebene zugeordnet, die auf 2 Arten (oben/unten) differenziert wird.

apallisches syndrom, gesamte Instrumentalform.
Jeder Farbe ist eine Klangebene zugeordnet, die auf 2 Arten differenziert wird –
je nachdem, an welcher Seite die schwarze Linie ein Farbdreieck berührt.

apallisches syndrom als Formganzes
CHRISTIAN LOIDL |

Christian Loidl, kleinstkompetenzen, edition selene, Wien 2000
DIAL GEH AUF, OFFM BIST
Komposition zu Übergangsraum 50min
für Sopran, Violine, Bassklarinette
nach Texten von Christian Loidl
2004
Partitur zur Organisation von Notationsgrafik 1, 2 und 3

Jedem der Musiker sind zwei aus den insgesammt drei der folgenden Notationen zugeordnet, wobei der durchgehende Strich die eine und der unterbrochene Strich die andere der beiden Notationen bezeichnet. Aus kombinatorischer Sicht ergeben sich so acht verschiedene Konstellationen.
Notationsgrafik 1

Die Notation ist Instrumenten unabhängig und fixiert zum einen den Wechsel zweier Klänge oder Tonhöhen und zum anderen deren dynamisches Verhalten. Obgleich die Wahl des Klanges unabhängig von der Notation getroffen wird, ist sein Verlauf durch sie bestimmt. Durch Drehen der Notation verändert sich die Bedeutung jeder einzelnen Linie.
Notationsgrafik 2

Buchstaben in Notationszeichen transformiert geben Auskunft über Bogenbewegungen quer und entlang der Saiten der Violine.
Notationsgrafik 3

Die in allen kombinatorischen Möglichkeiten an vier Linien ausgerichteten schwarzen Punkte stehen einem weißen Kreis gegenüber. Die Notation, aus allen Richtungen und von allen Seiten lesbar, dient als rhythmischer Raster für das unterschiedliche Klangmaterial von Bassklarinette und Sopran.
Judith Ramerstorfer, Sopran
Ivana Pristasove, Violine
Petra Stump, Bassklarinette
Aufnahme: Lentos Kunstmuseum Linz, 2005
Livemitschnitt von Übergangsraum 50min
GUILLAUME DE LORRIS |
BLÜTENBLATT ABGEBLÄTTERT
für Vokalsolisten und Instrumentalisten
nach einem Textfragment von Guillaume de Lorris
strukturiert durch die Notationsgrafik a rose is ...
2011
Vokalstimme (Ausschnitt): "So ruhig kann das Meer nicht sein, dass nicht ein leichter Wind genügt, es aufzuwühlen."
(Zitat: Guillaume de Lorris, Roman de la Rose)
FLORIAN NEUNER |
BECHER UND ROHR
mit 3 Textstrukturen von Florian Neuner
für mindestens 3 Stimmen, Becher und Rohr
2017
In BECHER UND ROHR wird ein von Florian Neuner entworfenes Textmaterial durch die folgende Notationsgraphik für eine Aufführung klanglich und zeitlich strukturiert.

Notationsgrafik zu Becher und Rohr
Die Notationsgraphik besteht aus 24 unterschiedlichen Zeichen. Jedes Zeichen ist ein in ein Quadrat eingeschriebenes Viereck. Dabei berühren die 4 Eckpunkte des Vierecks entweder die Mitte einer gedachten Quadratseite, einen Teilungspunkt links oder rechts davon oder einen Teilungspunkt oberhalb oder unterhalb dieser Mitte.
An diesen 3 Punkten einer gedachten Quadratseite sind die jeweiligen Wörter (oder Wortgruppen) notiert. Dort, wo ein Zeichen (ein Viereck) einen dieser Punkte berührt, wird das betreffende Wort in der vorgeschriebenen Weise gesprochen/gesungen/geflüstert etc.
Die jeweils 6 übereinander gestellten Zeichen werden von oben nach unten gereiht. Dabei wird jedes Zeichen im Uhrzeigersinn gelesen: Oberer Eckpunkt, rechter Eckpunkt, unterer Eckpunkt, linker Eckpunkt.
Die Partitur etabliert drei verschiedene Lesarten der Notationsgraphik, die auf das Textmaterial angewendet und durch die drei Stimmen unterschiedlich übereinander geschichtet werden.
Da die tatsächliche Dauer der einzelnen Teile (A, B, C) nicht exakt bestimmt ist, ergeben sich in jeder Stimme zeitliche Verschiebungen, die zu weiteren möglichen Überlagerungen führen:
Lesart A
Jede der drei Lesarten fokussiert unterschiedliche Aspekte des Textmaterials. So werden, die in Lesart A gebildeten Wortpaare in einer literarischen Setzung von »WEDER X NOCH Y« durch folgende Ausführungsvorschriften klanglich wie gestisch bestimmt:
Laut in den, mit schneller Armbewegung an den Mund geführten Becher sprechen. Dann ebenso schnell den Arm wieder in eine hängende Ausgangslage bringen. Ohne Zögern weiter!
Ruhig sprechen und dabei den Kopf schnell in die jeweilige Quadratseitenrichtung der Wortaktion wenden. Dann den Kopf ebenso schnell in die Ausgangslage zurückbringen und ca. 4 Sekunden pausieren.
Laut durch das, mit schneller Armbewegung an den Mund geführte Rohr sprechen. Dann ebenso schnell den Arm wieder in eine hängende Ausgangslage bringen. Ohne Zögern weiter!
Allen Wörtern der horizontalen Seiten wird ein schnell geflüstertes WEDER vorangestellt, und allen Wörtern der vertikalen Seiten ein schnell geflüstertes NOCH.
Lesart B
Analog zu Lesart A sind bei Lesart B den 12 Teilungspunkten verschiedene Laute zugeordnet – mit Ausnahme des oberen Teilungspunktes der linken Seite, dem eine Zäsur zugeordnet ist [ ].
Diese sollen mittels der Notationsgraphik in einen klanglichen Übergang gebracht werden. So sagt die Partitur: Dort, wo ein Zeichen einen Teilungspunkt berührt, wird der betreffende Laut für eine kurze Weile mehr oder weniger schnell repetiert. Danach wird, den Laut noch immer repetierend, ein klanglich möglichst nahtloser Übergang zum nächst folgenden Laut gesucht. Nahtlose Übergänge können mitunter dadurch erzielt werden, indem man Konsonanten stimmlos einführt und ihnen im Zuge der Repetition allmählich mehr Stimme gibt; umgekehrt können sie so auch ausgeblendet werden. Übergänge von Vokalen werden durch ein Lauter- oder Leiserwerden erzielt, aber auch durch ein Verkürzen oder Verlängern des jeweiligen Lauts – wie im folgenden schematisch skizziert:
Lesart C
Wie schon bei Lesart A und B werden auch bei Lesart C die einzelnen Zeichen der Notationsgraphik von oben beginnend im Uhrzeigersinn gelesen. Bei Lesart C werden allerdings den Teilungspunkten keine Worte oder Laute zugeordnet sondern lediglich Ausführungsvorschriften wie »HOCH GESUNGEN«, »SEHR TIEF GESUNGEN« und »KURZ GESPROCHEN«.
Die Lautgebung erfolgt durch die in Silben geteilte Wortgruppe:
WE - DER - NOCH - LIE - BER - IR - GEND - WIE - AN - DERS
Je nachdem, an welcher Stelle nun ein Zeichen einen Teilungspunkt berührt, wird eine Silbe dieser fortlaufend sich wiederholenden Wortgruppe in der entsprechenden Weise ausgeführt.
hoch gesungen (falsett), gedehnter Ton, leise
kurz und ruhig gesprochen
sehr tief gesungen, gedehnter Ton, leise

Florian Neuner, Drei Tote, Verlag Peter Engstler, Ostheim/Rhön 2017
ASCHE
Ein Hörspiel in zwei Teilen
hr 2020 / jeweils 60 Min.
Teil I: Auf Achse
Teil II: Zur Sache
Eine Generation tritt ab: Ob Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen, Konrad Boehmer oder Dieter Schnebel - die meisten der die Nachkriegsavantgarde in Darmstadt und anderswo prägenden Komponisten sind inzwischen verstorben.
Es war dies eine Generation, die sowohl die Musik als mit ihr auch die Welt verändern wollte: Heinz-Klaus Metzger, einer ihrer führenden Theoretiker, schrieb: "Was als Musik einst begriffen ward, bricht auseinander."
Der in Berlin und Wien lebende Schriftsteller Florian Neuner (*1972) spürt in seinem als große Collage angelegten Hörspiel den Biografien dieser Protagonisten eines "heroischen" Aufbruchs nach. Aus vielen Fragmenten entsteht ein Mosaik, in dem Widersprüche und Brüche nicht kaschiert werden. Auch will es ganz entschlossen nicht den Eindruck erwecken, Lebensläufe ließen sich zu erzählbaren Geschichten runden.
Angelpunkt von "Asche" ist das Leben eines weniger bekannten Musikers dieser Generation - eines Mannes, der als Komponist von elektronischer Musik innovativ war, dem aber die Widersprüche zwischen Kunst und Lebenspraxis und seine Alkoholsucht zum Verhängnis wurden. Allen seinen Stücken liegt die Tonreihe A-S-C-H-E zugrunde. Die hat auch der österreichische Komponist Christoph Herndler (*1964) in seiner Musik für diese Text- und Klanglandschaft aufgegriffen, die man als Requiem für eine Künstlergeneration verstehen kann.
(hr2-kultur, The Artist's Corner)
)) nachhören ((
ASCHE
aus dem Zyklus Übergang und Schnitt
für Orgel
2019
Musik zum gleichnamigen Hörspiel von Florian Neuner
Eine Produktion des Hessischen Rundfunks, 2020
LEGENDE
Die Notationsgrafik Übergang und Schnitt fixiert eine Form, in der 4 Ebenen (1, 2, 3, 4) in 24 kombinatorischen Möglichkeiten der Überlagerung erscheinen.
Dabei erfolgt die Änderung von einer zur anderen senkrechten Ebenenreihenfolge immer nur durch die Veränderung einer einzigen Ebene in eine andere Position - die drei restlichen Ebenen bleiben unverändert.
In ASCHE wird die Notationsgrafik Übergang und Schnitt durch das klangliche Material, bestehend aus den 5 Tönen A, ES, C, H, E realisiert.
Die auf 4 Systemen notierten Töne werden unter Zuhilfenahme von Keilen oder Gewichten gespielt.
Je nach Größe und Beschaffenheit der Orgel kann jedem einzelnen System auch ein unterschiedliches „Werk“ (Man. I – III, Ped.) zugeordnet werden.
Um der Form zu entsprechen, wurde im 1. System (Man. I) sowie im 4. System (Pedalsystem) eine oktavierende Notation gewählt. In beiden Fällen ist allerdings das „8va-Zeichen“ vernachlässigbar und vielmehr als Indiz für eine „hohe“ bzw. „tiefe“ Registrierung zu sehen.
Stehen in ASCHE weniger die durch das konkrete Tonmaterial (A, ES, C, H, E) aufgespannten „harmonischen“ Verhältnisse im Vordergrund als vielmehr sich durchdringende Klangschichten, so fällt besonderes Augenmerk auf die Registrierung. Sie soll vor allem durch halb- und teilweise gezogene Register den Fokus auch auf klangliche Konstellationen außerhalb des „gestimmten“ Tonraums lenken.
Reicht hier das mögliche Spektrum von einer sehr leisen, luftigen, geräuschhaften Registrierung bis hin zu einem „vollen“ Plenum, so obliegt es gerade dem Geschmack des Interpreten, der Form die jeweilige „Färbung“ zu geben.
Die in ASCHE konventionell notierten 5 Varianten der Grundform können für eine Aufführung unterschiedlich zusammen gestellt werden. Eine Aufführung kann alle aber auch nur eine Variante umfassen. Werden alle im Hintereinander gespielt, so soll bei jeder Variante eine andere Registrierung gewählt werden.
Die „ganze Note“ entspricht einer Dauer von 9 - 15 sec. und wird niemals ganz gleichmäßig ausgeführt. Je nach Raum und Situation kann diese vorgeschlagene Zeitklammer aber auch ausgeweitet werden.
ASCHE / Variante 1

Aufnahme: Hofburgkapelle, Wien 2020
(YouTube)
WALTER PILAR |
REGEN LICHT GEGNENDEN
für Vokalsolisten
nach einem Text von Walter Pilar
strukturiert durch die Notationsgrafik 123
2008
(l)INk.(s) b(l)it.z.t.(s), RE(ch)t.(s) b(l)INk.t.(s)
für Vokalsolisten
nach einem Text von Walter Pilar
strukturiert durch die Notationsgrafik 123
2008
CHRISTIAN STEINBACHER |
Christian Steinbacher
(Textauszug)
STIMME 1
[Stimmmarkierung: Erkennen heißt mir vorerst Zuweisen, Besetzen. / Dass es mich sicher macht, mich dorthin, dahin stellt. / Warum und Weil sind meine Instrumente. / Auf dräng persönlich ich die Note dem Objekt.]
Auszüge aus dem STIMMVERLAUF 1 mit Material von Tilmann Habermas
(143 Zeilen)
[Zeile 1–18:]
Weil es mir etwas bedeuten will
Weil es mir Sicherheit, Halt
Oder auch nur ein Bild meiner selbst
Werde ich reflektiert von dem Lappen
Nehme ich gerne wo teil
Leih ich mir selber ein Ohr
Steh in Distanz dann zur Schar
Oder reih mich auch ein
Trage das Kleid nur genau so
Oder sperr es jetzt weg
Reicht übern Rand doch kein Teller
Tand, der lässt mich verweilen
Werd ich reflektiert von dem Lappen
Weil mir das etwas bedeutet
Doch es nimmt nicht wahr, hält nur fest
Will sich immerzu nur vergewissern
Hätte ich mich dann beruhigt
Oder auch unabhängig von andern
[Zeile 94–110:]
Aus echter Fallschirmseide, nun ja
Ha welch Residualkategorie
Vor dem Aus- oder Einschluss
Nun, je stärker man ein Objekt auflädt
Nämlich symbolisch bedacht
Umso individueller und eben auch stärker
Wird das dem Austausch entzogen
Nein kein Fingerhut, keine Mütze
Sondern schon ein ganzes Trapez voller Flieger
O, das will uns stehlen die Show
O, das stellt mich aus und zur Schau
Um euch eine zu verpassen, wenn ihr mich schneidet
Habe ich immer eine Kralle dabei
Also Interpretation, Überhöhung
Dass die alte Tass dann auch bricht
Wie mein falsches Gebiss, mein Pokal
Lass das doch mal weg, lass das weg
Auszug aus dem STIMMVERLAUF 2 (66 Zeilen)
[Zeile 43–60:]
Batterien für mein Glücksschwein
Lilienporzellan für Gäste
Reste Scherben alte Pullis
Funktionslose Gerätschaft
Vormals Tisch- und heute Stuhlbein
Einzel- und Erinnerungsstücke
Du mein Türschild, du mein Spanner
Und ihr Gummibänder aus Arkansas
Und ihr Whiskybecher aus der Lausitz
Ein Geschenk ist keine Spende
Käsereiben aus Italien
Finnländische Waschhandschuhe
Alles bestens, alles echt hier
Krauseminze nur aus Frankfurt
Fußmatten frisch aus der Eifel
Stahlstecknadeln nur mit Saummaß
Seifenblock mit Schneidedraht nur
Und aus Duroplast die Schüssel
ABGESCHRITTEN, DER KREIS
für variables Ensemble und VokalsolistInnen
mit Texten von
Christian Steinbacher
Kompositionsauftrag von Linz 2009
Die Musiker und Musikerinnen spielen und singen direkt aus der abgebildeten Form, die sie im Verlauf der Aufführung immer wieder auf die nächste Seite drehen. Es resultiert ein „Verwandlungszyklus“, der sich durch verändertes akustisches Material ständig anders abbildet.
Die Form der Grafik erfasst mittels Kriterien der Häufigkeit einen Übergang vom Einen zum Anderen.
Das Grundelement der Notationsgrafik bildet ein Pfeil, der in 4 verschiedene Richtungen zeigen kann (oben, rechts, unten, links).
Durch Drehen der Notationsgrafik verändert sich die Richtung, in die die Pfeile zeigen und somit auch deren Bedeutung.
In jeder der 4 möglichen Positionen der Grafik erscheinen immer nur 3 Richtungen der Pfeile; dabei erscheint eine der 3 Pfeilrichtungen HÄUFIG, die andere MÄSSIG und die dritte SELTEN.
Die quadratisch angeordneten Pfeile verändern ihre Häufigkeit in folgender Weise:
alles HÄUFIGE WIRD SELTEN
alles MÄßIGE WIRD HÄUFIG und
alles SELTENE WIRD MÄßIG
Dreht man nun die Notationsgrafik auf die nächste Position, so setzt sich dieser Prozess der Verwandlung nahtlos fort.
LESERICHTUNG:
Die 4 quadratischen Pfeilgruppen werden immer beim gleichen Quadrat zu lesen begonnen.
Innerhalb eines Quadrats können die Zeilen oder Spalten beliebig gereiht werden.
(Steht die Notationsgrafik „am Kopf“, müssen die Quadrate demnach von rechts nach links gereiht werden.)
KLANGWAHL:
Den 4 Richtungen (rechts, unten, links, oben) werden Klänge, Töne oder Geräusche zugeordnet, die je nach Position der Notationsgrafik durch die jeweiligen Pfeile aktiviert werden.
Das gewählte Material muss so beschaffen sein, dass es beim wiederholten Auftauchen identifizierbar bleibt – d.h. es kann Klangmaterial gewählt werden, das sich präzise wiederholen lässt (Ton), aber auch eines, das in sich „unscharf“ und „variabel“ ist, immer aber als das gleiche wiedererkannt werden kann.
Weiters kann den Pfeilrichtungen auch „Stille“ zugeordnet werden.
SPIELZEIT:
Die zeitliche Aneinanderreihung der Klänge liegt keiner Metrik zugrunde und soll daher frei sein – manchmal dichter, manchmal loser.
Grundsätzlich ist die Zeit durch das Material selbst festgelegt (ruhige Klänge, unruhige Klänge, etc.).
Stehen Pfeile gleicher Art hintereinander, so wird je nach Beschaffenheit des Materials der Klang entweder gemäß der Anzahl der Pfeile wiederholt oder dem entsprechend länger gehalten.
DER NEUE KLANG:
Durch die erste Drehung der Notationsgrafik tritt jeweils die zuvor fehlende Pfeilrichtung in Erscheinung. Dieser Pfeilrichtung, die immer als fett gedruckt erscheint, kann nun auch ein NEUER KLANG zugeordnet werden.
LÜCKENSTOPFEN
für Akkordeon, Bassklarinette und Sprecher
mit Texten von Christian Steinbacher
2012
LEGENDE
Die Notationsgrafik ist aus 4 unterschiedlich gefärbten Quadraten gebildet.
Jeder Farbe wird eine Klangaktion zugeordnet - dem schwarzen Feld, Stille.
Die 4 Felder können gemäß 8 verschiedener Leserichtungen unterschiedlich gereiht werden.
Dabei markiert ein schwarzer Pfeil die Leserichtung und ein weißes Dreieck die Richtung der Reihenfolge:
von links nach rechts gelesen - von oben nach unten gereiht
von oben nach unten gelesen - von rechts nach links gereiht
von links nach rechts gelesen - von unten nach oben gereiht
von unten nach oben gelesen - von links nach rechts gereiht
von links nach rechts gelesen - von unten nach oben gereiht
von oben nach unten gelesen - von links nach rechts gereiht
von rechts nach links gelesen - von oben nach unten gereiht
von unten nach oben gelesen - von rechts nach links gereiht
QUICKSAND
für 2 Bassklarinetten
als Musik zu
KAUM KONZERTANTE KONZENTRATE
ein Langgedicht von Christian Steinbacher
2010
KAUM KONZERTANTE KONZENTRATE mit QUICKSAND
Christian Steinbacher, Sprecher
Petra Stump, Bassklarinette
Heinz-Peter Linshalm, Bassklarinette
Aufnahme: 2010
Inhalt
[ Vertonungen ]
Werktitel ↑↓ | Textautor ↑↓ |
---|---|
HM_MH | DODEL, Franz |
APALLISCHES SYNDROM | FLAM, Angela |
BLÜTENBLATT ABGEBLÄTTERT | LORRIS, Guillaume |
DIAL GEH AUF, OFFM BIST | LOIDL, Christian |
BECHER UND ROHR | NEUNER, Florian |
ASCHE | NEUNER, Florian |
REGEN LICHT GEGNENDEN | PILAR, Walter |
(l)INk.(s) b(l)it.z.t.(s), ... | PILAR, Walter |
ABGESCHRITTEN, DER KREIS | STEINBACHER, Christian |
LÜCKENSTOPFEN | STEINBACHER, Christian |
KAUM KONZERTANTE KONZENTRATE | STEINBACHER, Christian |